Karl Oskar Rosenthal - Arzt in Gurs

Karl Oskar Rosenthal war ein beliebter Hausarzt. 1980 beschloss der Kehler Gemeinderat, ihm zu Ehren eine Straße zu benennen: „Dr.-Karl-Rosenthal-Weg“. Karl Rosenthal wurde am 16. Oktober 1893 als drittes Kind des Eisengroßhändlers Julius Rosenthal und seiner Frau Fanny, geb. Edesheimer (1861–1940 Gurs) aus Bühl geboren. Nach dem Abitur in Freiburg nahm er 1911 das Medizinstudium in Freiburg auf, das er wegen seines Kriegseinsatzes im Ersten Weltkrieg (Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz) unterbrechen musste. 1923 promovierte er zum Dr. med. Im gleichen Jahr heiratete er Olga Kuhn (1899–1942 Auschwitz) aus Rastatt. Aus der Ehe gingen die Söhne Claus (geb. 1924) und Gert (geb. 1927) hervor. 1926 zog die Familie von Rastatt nach Kehl, wo sich Karl Rosenthal eine Arztpraxis einrichtete. Daneben war er als Belegarzt für internistische Patienten im Kreiskrankenhaus Kehl und als amtlich bestellter städtischer Schularzt tätig.

Anfang 1931 beantragte die NSDAP als stärkste Gemeinderatsfraktion, Karl Oskar Rosenthal zu kündigen und künftig nur „christlich-arische“ Schulärzte einzustellen. Sein Vertrag wurde nicht verlängert. Während der antisemitischen Boykott-Aktion am 1. April 1933 standen auch vor seiner Praxis SA-Posten, mit anderen jüdischen Männern wurde er für drei Tage in Schutzhaft genommen. Nach dem Entzug der Zulassung für alle Krankenkassen 1933 durfte er nur noch Privatpatienten und ab April 1936 nur noch jüdische Patienten behandeln. Patienten, die sich bei Dr. Rosenthal weiterhin behandeln ließen, wurden mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes bedroht.

Anfang 1938 schickten die Rosenthals den 14-jährigen Sohn Claus nach Frankreich, wo er Internate in Montbeliard und Paris besuchte. Im Oktober 1938 verlor Karl Rosenthal die ärztliche Approbation, er durfte sich nun nur noch „Krankenbehandler“ für jüdische Patienten nennen. Seinen Pkw musste er abgeben, was ihm die Möglichkeit nahm, seine außerhalb Kehls wohnenden Patienten aufzusuchen. Sein Sohn Nikolas (früher Claus) erinnert sich: „Er hatte nun so viel Freizeit, dass er sich jeden Tag an seine Schreibmaschine setzen konnte, um ein Buch über ‚Medizin und Magie‘ zu schreiben. Das unvollendete Manuskript ist mit all seinen Besitztümern im Oktober 1940 verschwunden – vielleicht hat es jemand später vollendet? Seiner wirtschaftlichen Grundlage beraubt zog er mit seiner Familie zu Verwandten nach Mannheim, wo er hoffte, am dortigen jüdischen Krankenhaus als Arzt unterzukommen.“ Während des Novemberpogroms am 9. und 10. November 1938 hielt sich Karl Oskar Rosenthal zufällig außerhalb Badens auf und konnte sich so einer Einweisung in das Konzentrationslager Dachau entziehen. Im Sommer 1939 entschlossen sich Karl und Olga Rosenthal, auch ihren jüngeren Sohn Gert auf einen Kindertransport nach England zu geben, gerade noch rechtzeitig vor Kriegsbeginn September 1939.

Am 22. Oktober 1940 wurden die badischen Juden, darunter auch die Kehler, in das in Südwestfrankreich gelegene Internierungslager Gurs deportiert. Nicolas Rosenthal berichtet, dass seine Eltern noch vor dem Novemberpogrom nach Mannheim gezogen waren. In Gurs erlag Rosenthals Mutter Fanny Rosenthal einen Monat nach Ankunft den menschenfeindlichen Lagerbedingungen. Mitte des Jahres 1941 wurde das Ehepaar Rosenthal in das Lager Rivesaltes bei Perpignan verlegt, wo Rosenthals Schwiegermutter Henriette Kuhn (1865–1941) verstarb. Juli 1942 flüchtete Sohn Nicolas vor der großen Juden-Razzia in Paris zu seinen Eltern nach Rivesaltes. Da es aus dem Lager kein Entkommen gab, wurde es auch für Nicolas Rosenthal zur Falle. Im September 1942 erfolgte die Deportation über Drancy bei Paris in den Osten. Während des Transportes wurden Vater und Sohn von der Ehefrau und Mutter Olga Rosenthal getrennt und wenig später auf verschiedene Konzentrationslager verteilt. Nicolas Rosenthal: „Für meinen Vater und mich folgten die Jahre im KZ, die für ihn mit dem Tod im März 1944 endeten. Er war als Lagerarzt in das mit Flecktyphus verseuchte Lager Gräditz bei Schweidnitz beordert worden. Durch reinen Zufall war ich kurz vor seinem Tod – meinen 20. Geburtstag ‚feierten‘ wir noch zusammen – in das gleiche Lager als Flecktyphus-Rekonvaleszent eingeliefert worden, nachdem ich sechs Monate zuvor eine schwere Bauchtyphus-Erkrankung überlebt hatte. So war ich bei seinem Sterben anwesend und Zeuge, dass er zumindest eines ‚natürlichen Todes‘ gestorben ist.“ Die Mutter Olga war im Alter von 43 Jahren in Auschwitz ermordet worden.

Nach Berichten seines Sohnes Nicolas war Karl Rosenthal ein humorvoller Mensch. Er war ein Freund der Musik und spielte Klavier, seine Frau Geige im Kehler Kammerorchester. Sohn Nicolas beschreibt seine Familie als assimiliert, ohne dass sie ihre jüdische Herkunft verleugnete: „Wir feierten auch die christlichen Feste. An Ostern suchten wir Ostereier und an Weihnachten hatten wir einen Tannenbaum mit Kerzen und darunter unsere Geschenke. Wir feierten Sylvester mit unseren Freunden. Aber man ging nicht in die Kirche, so wenig wie Christen in die Synagoge kamen […].“ Sein Selbstverständnis als Deutscher und fehlende Beziehungen ins Ausland waren wohl die Gründe, weshalb Karl Rosenthal so lange zögerte auszuwandern – bis es zu spät war. Seinen Sohn Klaus ermahnte er auf dem Sterbelager im Konzentrationslager: „Nie wieder Deutschland! Nie wieder, hörst Du, Deutschland!“

 

Jürgen Stude

Literatur

Nicolas Rosenthal: Hagada des 20. Jahrhunderts. Fin Vermächtnis. Mit Beiträgen v. R. Kruse jun. u. F. Peter, hrsg. v. Historischen Verein Mittelbaden, Mitgliedergruppe Kehl-Hanauerland. Kehl 2000

Stüwe, Hartmut: Kehl im Dritten Reich: Kehler Stadtgeschichte 1933-1945; eine Dokumentation des Stadtarchivs Kehl zu der gleichnamigen Ausstellung im Hanauer Museum 1995/1996. Kehl 1997

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