Abrazo, das kleine Reinigungskissen aus Stahlwolle und fettlösender Seife, kennt man in ganz Europa. Hergestellt wird dieses Küchenutensil seit über 100 Jahren von der Firma Oscar Weil im badischen Lahr. Das Unternehmen ist seit vielen Jahrzehnten Marktführer bei Stahlwolleprodukten und beliefert den gesamten europäischen Raum.
Oscar Weil
Oscar Weil, der Firmengründer, wurde 1860 in Nonnenweier geboren. Seine Vorfahren lebten seit Generationen im Ort, wo sein Vater Samuel Weil (1821–1863) 1843 eine Eisen- und Lederwarenhandlung gründete. Als Samuel Weil 1863 stirbt, führt seine Witwe Jeanette Weil (1828–1899) mit Oscars älteren Brüdern Nathan (1852–1920) und Simon (1857–1937) das Geschäft weiter. 1884 gründete Simon Weil eine Filiale auf dem Lahrer Schlossplatz und Oscar arbeitet im Geschäft seines Bruders mit. 1890 wurde das Geschäft in größere Räume in der Kaiserstraße 63 verlegt. Um 1892 heiratete Oscar Weil die Cannstatterin Cilly, geb. Stern (1872–1936), 1893 kam ihr Sohn Hugo zur Welt, den das Ehepaar evangelisch taufen ließ.
Oscar Weil war häufig auf Geschäftsreisen in Europa unterwegs. In England lernte er die Bedeutung und Herstellung von Produkten aus Stahlspänen kennen. Für die Reinigung der damals häufig verwendeten Dielenböden waren kleine Kissen aus Stahlspänen bestens geeignet. Oscar Weil, brachte diese Geschäftsidee mit nach Lahr und begann 1899 mit fünf Arbeitern mit der Herstellung von Stahlspänen. 1901gründete er das Unternehmen Oscar Weil, teilte aber weiterhin die Geschäftsräume mit seinem Bruder Simon. Während dieser die Eisenhandlung weiter betrieb, zog Oscar Weil 1910 in ein neu errichtetes Fabrikationsgebäude in der Lahrer Tramplerstraße, wo sich die Firma noch heute befindet. Der von Oscar Weil Oscar Weil 1905 geschaffene Haushaltsstahlschwamm erhielt einen eigenen Markennamen: RAKSO – ein Anagramm seines Vornamens Osc(k)ar. 1914 beschäftigte die Firma Oscar Weil 30 Arbeiter; in den 1920er Jahren, als sie einen enormen Aufschwung erlebte, waren es bereits 90. 1925 entwickelte Oscar Weil ein neues Produkt aus Stahlwolle, den mit Seife getränkten Haushaltsstahlschwamm Abrazo – ein weithin bekannter Markenname, mit dem die Firma seit 1962 Markführer ist. Oscar Weil war in Lahr ein angesehener Bürger und Geschäftsmann, 1923 wurde er zum Vorsitzenden der Industriellen-Vereinigung Lahr gewählt; er war auch Mitglied des Arbeitgeberkartells. Von 1919 bis 1925 saß er für die Deutsche Demokratische Partei im Lahrer Bürgerausschuss. 1926 verstarb Hugo Weil im Alter von 66 Jahren, seine Frau Cilly folgte ihm 1936.
Nach dem Ersten Weltkrieg war Hugo Weil in die Firma seines Vaters eingetreten, der ihn – was damals selten war – zum Teilhaber machte. Der 1893 geborene Hugo Weil hatte am Gymnasium in Lahr das Abitur absolviert und anschließend Rechts- und Handelswissenschaften studiert. 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger zum Einsatz im Ersten Weltkrieg; er kämpfte an der Westfront. Wie sein Vater Oscar war auch er ein sozial eingestellter Arbeitgeber; so entließ er während der großen Arbeitslosigkeit Anfang der 1930er Jahre keinen einzigen Mitarbeiter.
1935 zog Hugo Weil mit seiner Familie nach Berlin, von wo aus er die Firma weiterhin leitete. Die neuen Machthaber ließen ihn und seinen florierenden Betrieb in den ersten Jahren ihrer Herrschaft gewähren, wenn auch einige regionale Wirtschaftsführer ein begehrliches Auge auf die erfolgreiche Firma warfen, wie Emil Tscheulin (1884–1951), der Besitzer der Teninger Aluminium-Werke. Der einflussreiche Förderer der Nationalsozialisten in Baden war 1933 Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Freiburg geworden. 1938 wurde schließlich die „Arisierung“ der Firma Oscar Weil mit ihren 150 Mitarbeitern eingeleitet; Ende 1939 wechselte diese den Besitzer: Neuer Eigentümer wurde Clemens Kentrup (1897–1945), der Schwiegersohn von Emil Tscheulin und seit 1937 Geschäftsführer der Teninger Aluminium-Werke. Als Präsident der badischen Industrie- und Handelskammer (1933–1936) und badischer NSDAP-Gauwirtschaftsberater (1933–1945) war Kentrup für die „Entjudung“ der badischen Wirtschaft verantwortlich.
1938 verließ Hugo Weil Deutschland und lebte fortan in England, wo er im Januar 1945 nach einer Operation starb. Im Jahre 1949 erhielt die Familie Weil den Lahrer Betrieb in der Tramplerstraße zurück. Hugo Weils 1919 geborene Tochter Ilselore beginnt mit zunächst 25 Mitarbeitern einen Neuanfang, sie leitet die Firma mit Unterbrechungen bis 1983. Ihre Erinnerungen an ihr Leben und an ihre Firma hat Ilselore Prinz-Weil 2009 veröffentlicht.
Bernd Rottenecker
Literatur
Kattermann, Hildegard: Geschichte und Schicksale der Lahrer Juden: eine Dokumentation. Lahr 1976
Stude, Jürgen: Die Lahrer Juden. In: Geschichte der Stadt Lahr/hrsg. Von der Stadt Lahr, Bd. 3, Lahr 1993, S. 143-167
Prinz-\Weil, Iselore: „Wenn dich auch von Zeit zu Zeit erfassen sollte Herzeleid ...“ Seelbach/Ettenheim 2009