Am 4. August 1914, im Alter von 40 Jahren, meldete sich der Reichstagsabgeordnete Ludwig Frank freiwillig zu den Waffen. Am 30. August, dem Tag seiner Einberufung, schrieb er einer Freundin: „Ich weiß nicht, ob auch die französischen Kugeln meine parlamentarische Immunität achten.“ Sein Soldatentod auf einem Lothringer Schlachtfeld vier Tage später, am 3. September 1914, machte Ludwig Frank zur Symbolfigur des deutsch-jüdischen Patriotismus.
Ludwig Frank wurde am 23. Mai 1874 in Nonnenweier als zweites von vier Kindern des Samuel Frank (1841–1915) und der Fanny, geb. Frank (1837–1926) geboren. Die Familie Frank lebte vom ambulanten Handel mit Textilien und Fellen und zählte zu den ärmsten Mitgliedern der israelitischen Gemeinde. Mithilfe des evangelischen Dorfpfarrers bereitete Ludwig Frank sich auf einen höheren Schulabschluss vor. Die Tradition am Lahrer Gymnasium, das er ab 1885 besuchte, schrieb vor, dass die Abiturrede an der Abschlussfeier vom jeweiligen Klassenprimus gehalten wurde. Am 20. Juli 1893 war dies Ludwig Frank. Das Thema seines Vortrags „Die Bedeutung Lessings für seine Zeit“ klang unverdächtig, doch hielt sich der junge Redner nicht an die gängige Interpretation der Lessingschen Werke, sondern an die des sozialistischen Literaturhistorikers Franz Mehring (1846–1919).
Die klassenkämpferische Rhetorik sorgte für Empörung, aber noch mehr die Tatsache, dass sie von einem Juden kam. Die deutschkonservative Karlsruher „Badische Landpost“ schrieb: „Ein Akt unglaublicher jüdischer Anmaßung hat sich am vergangenen Samstag in Lahr beim Schlusse des Abiturexamens abgespielt. Der israelitische Abiturient Ludwig Frank aus Nonnenweier hat sich bei seiner ‚Abschiedsrede‘ in der Aula bei einem Vortrag über Lessing erlaubt, gegen den Antisemitismus loszuziehen. Das fehlt noch, dass jeder beliebige Judenjüngling auch noch im Gymnasium für jüdische Parteizwecke Propaganda macht.“ Einige Lehrer verlangten Franks Bestrafung; das Unterrichtsministerium weigerte sich, ihm das Reifezeugnis auszuhändigen; erst nachdem die überregionale Presse für den aufmüpfigen Abiturienten eintrat, lenkte es ein.
Nach dem Abitur studierte Ludwig Frank Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der Freiburger Universität. 1899 erfolgte seine Promotion. 1895 war er der SPD beigetreten. Seiner umstrittenen Abiturrede zum Trotz war er zweimal als Volontär bzw. Rechtspraktikant am Amtsgericht Lahr tätig, nach Abschluss der zweiten juristischen Staatsprüfung im Sommer 1900 plante er sogar seine Niederlassung in Lahr (Visitenkarten mit der Lahrer Adresse waren bereits gedruckt), entschied sich dann aber für Mannheim, das ihm mit seinem starken sozialdemokratischen Ortsverein gute Voraussetzungen für eine politische Laufbahn bot. Sein mitreißendes Charisma und seine rednerische Begabung halfen ihm dabei. 1904 wurde er Stadtverordneter, 1905 Abgeordneter der Zwei ten Kammer der Badischen Ständeversammlung, 1907 schließlich Abgeordneter für Mannheim im Reichstag. Neben seinen vielen politischen Ämtern betätigte er sich zudem als Organisator der sozialistischen Arbeiterjugendbewegung.
Obwohl seine Eltern seinen Beitritt zur SPD missbilligten, hielt Frank den Kontakt zu seiner Familie aufrecht und nutzte seine wenige freie Zeit, um nach Nonnenweier zu fahren und in die Welt einer jüdischen Landgemeinde einzutauchen. Er war kein praktizierender Jude, war sich aber seiner Wurzeln bewusst und blieb Mitglied der israelitischen Gemeinde Mannheim. Am 3. Februar 1907 schrieb er in einem Brief an Hedwig Wachenheimer: „Das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit meinen Stammesgenossen wird bei mir mit den Jahren nicht schwächer, sondern stärker und tiefer.“
Ludwig Frank hatte keine Berührungsängste gegenüber den bürgerlichen Parteien der Mitte. Mit Nachdruck befürwortete er die Fortführung des Bündnisses der SPD mit liberalen bürgerlichen Parteien, das seit 1905 die Politik in Baden bestimmte. Diese Haltung brachte ihn sowohl in Gegensatz zu seinen norddeutschen als auch zu den linksgerichteten Parteigenossen. Er war internationalistisch ausgerichtet, eine Verständigung mit Frankreich lag ihm sehr am Herzen, weshalb er auch die Zusammenarbeit mit den französischen Sozialisten suchte. Ein Pazifist war er nicht. Auf einer Mannheimer Friedenskundgebung Ende Juni 1914 warnte er zwar vor einem Krieg, sollte dieser aber kommen, würden die „als vaterlandslose Gesellen verunglimpften sozialdemokratischen Arbeiter ihrer nationalen Pflicht nachkommen und für Deutschland in den Krieg ziehen“. Am 1. August 1914 schließlich forderte er die Mannheimer Arbeiter auf, den Klassenkampf auszusetzen: „Die Pflichten des Parteigenossen fallen jetzt voll zusammen mit den Pflichten des Bürgers. Alle andern Rücksichten treten zurück hinter die Pflicht, das bedrohte Vaterland zu schützen. In dieser Zeit sind wir ein einzig Volk von Brüdern.“ Aus der gleichen patriotischen Gesinnung heraus stimmte Frank drei Tage später im Reichstag für die Bewilligung der Kriegskredite. Am 4. August 1914 meldete er sich freiwillig zum Dienst an der Waffe. Angesteckt von der allgemeinen Kriegsbegeisterung schrieb er Hedwig Wachenheim (1891–1961): „Ich gehe wie alle anderen freudig und siegessicher.“ Als Gegenleistung für den Einsatz der Arbeiter an der Front versprach sich Frank eine Demokratisierung Deutschlands und die Gleichberechtigung der Arbeiterklasse und auch der Juden.
In Lahr erinnern heute die Ludwig-Frank-Straße und ein Altenheim der Arbeiterwohlfahrt an den früheren Pennäler, der die Stadt einst in die Schlagzeilen brachte. 1948 hätte das Lahrer Gymnasium fast den Namen „Ludwig-Frank-Gymnasium“ erhalten, wie es sich die Stadtväter gewünscht hatten, doch die Schuldirektion setzte den Namen „Scheffelgymnasium“ durch. In Nonnenweier erinnert an seinem Elternhaus eine Gedenktafel an den großen Sohn der Gemeinde. Die Grundschule Nonnenweiers ist nach ihm benannt.
Jürgen Stude
Literatur
Berger, Michael/Rohrlich, Nicoleta: Fallbeispiel II: Dr. Ludwig Frank. Ein Kämpfer für den Frieden. In: Berger, Michael/Römer-Hillebrecht, Gideon (Hrsg.): Juden und Militär in Deutschland: zwischen Integration, Assimilation, Ausgrenzung und Vernichtung. Baden-Baden 2009, 5. 116-131
Kaller, Gerhard: Toleranzgedanke und Antisemitismus: d. Abiturrede von Ludwig Frank über „Lessings Bedeutung für seine Zeit“ (1893). In: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 1989, 5. 327-340
Pohl, Monika: Ludwig Frank. In: Oberrat der Israeliten in Baden (Hrsg.): Jüdisches Leben in Baden 1809 bis 2009: 200 Jahre Oberrat der Israeliten Badens. Ostfildern 2009, S. 242-245
Watzinger, Karl Otto: Ludwig Frank: ein deutscher Politiker jüdischer Herkunft. Sigmaringen 1995