Die am 15. August 1924 in Freiburg geborene Hedy Epstein, geb. Wachenheimer ist in Kippenheim aufgewachsen. Ihre Eltern Ella (1894–1942) und Hugo Wachenheimer (1889–1942) betrieben ein Manufakturwarengeschäft mit Stoffen in Kippenheim. In ihrer 1999 erschienenen Autobiografie „Erinnern ist nicht genug“ beschreibt sie ausführlich und ungeschminkt, wie sich das Leben ihrer Familie und das der anderen Dorfjuden in der Region veränderte, als 1933 die Nazis die Macht ergriffen. Vor allem im Ettenheimer Realgymnasium machten viele Lehrer aus ihrem Antisemitismus keinen Hehl; so wurde Hedy Epstein am 10. November 1938 von der Schule ausgeschlossen, nachdem einige Lehrer sie zuvor jahrelang massiv schikaniert und gedemütigt hatten. Als in der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 in Deutschland die Synagogen brannten, wurden auch in Kippenheim die Synagoge und jüdische Geschäfte demoliert; Hedys Vater wurde mehrere Wochen in Dachau inhaftiert.
Die verzweifelten Versuche des Vaters nach der Haftentlassung, mit der Familie ins rettende Ausland zu gelangen, scheiterten. Schweren Herzens schickten die Eltern ihre Tochter im Mai 1939 auf einen Kindertransport nach England. Als am 22. Oktober 1940 die badischen Juden in der Wagner-Bürckel-Aktion nach Gurs deportiert wurden, waren auch Hedy Wachenheimers Eltern und fast die gesamte Familie dabei: Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen – auf einem Familienbild aus Gurs sind 23 Personen zu sehen. Zwei Jahre später wurden die meisten von ihnen nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Hedy Wachenheimer überlebte den Krieg in England, zuletzt in einem Kinderheim. Sie wurde Mitglied in der kommunistischen Jugendorganisation FDJ (Freie Deutsche Jugend), die bereits 1939 in England aktiv wurde und sich hauptsächlich um die jungen jüdischen Flüchtlinge kümmerte. 1945 eröffnete sich ihr hier die Gelegenheit, für die US-Civil-Censorship in Deutschland zu arbeiten und u. a. bei den Nürnberger Prozessen gegen die NS-Ärzte zu übersetzen. 1948 übersiedelte sie in die USA. Sie war entsetzt über den Rassismus, dem schwarze Amerikaner ausgesetzt waren, und sie begann in einer Rechtsanwaltskanzlei zu arbeiten, die für Opfer von Diskriminierungen und für die Rechte der schwarzen US-Bürger eintrat. 1953 stellte sie einen Einbürgerungsantrag, doch Senator McCarthy, der amerikanische „Kommunistenjäger“ in der Zeit des Kalten Krieges, machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Jahrelang befragte man sie zu ihrer Mitgliedschaft in der FDJ, erst 1960 erhielt sie die US-Staatsbürgerschaft. 1958 heiratete sie den Physiker Arnold Epstein, der bereits 1977 starb. Aus der Ehe stammt der Sohn Howard.
Im Oktober 1990 lud die Gemeinde Kippenheim die ehemaligen Kippenheimer Juden in ihren Heimatort ein; bei dieser Gelegenheit besuchte Hedy Epstein zum ersten Mal ihr Elternhaus. Nach diesem Besuch verspürte sie eine große Befreiung: „Ich war nach Hause gekommen. Ich war geheilt. Die Geschichte hatte mich große Schmerzen gelehrt, aber ich hatte mein Trauma überwunden.“ Danach reiste sie regelmäßig nach Deutschland, wo sie als Zeitzeugin viele Schulklassen und Jugendgruppen besuchte.
In ihrer Autobiografie schrieb Hedy Epstein: „Erinnern muss auch eine Perspektive der Gegenwart und der Zukunft haben.“ Dies war gewissermaßen ihr Lebensmotto. Sie wurde eine leidenschaftliche Aktivistin für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte – gegen Unterdrückung, Diskriminierung und Krieg. Es genügte ihr als Holocaustüberlebende nicht, mit Blick auf die erlebte Vergangenheit eine bessere Zukunft zu beschwören: Hedy Epstein mischte sich ein und musste wegen der Radikalität ihres Engagements Widerspruch und Anfeindungen erdulden. Als Friedensdelegierte reiste sie in den 1970er und 1980er Jahren nach Guatemala, Nicaragua und Kambodscha. Fünf Mal besuchte sie das von Israel besetzte Westjordanland; sie setzte sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Palästinenser und deren Rechte ein. Sie beteiligte sich mit Israelis, Palästinensern und internationalen Gruppen an mehreren friedlichen Demonstrationen gegen die israelische Besetzung palästinensischen Landes. Die Antizionistin Hedy Epstein gehört der Free Gaza Movement an, der es 2008 gelang, die jahrzehntelange Blockade des GazaStreifens zu durchbrechen und zwei Hilfsschiffe im Hafen von Gaza anlegen zu lassen.
Für solche Aktionen wurde Hedy Epstein in Israel massiv angefeindet, war aber auch der Wut und dem Hass vieler Juden und Christen aus den USA ausgesetzt. Diese heftigen persönlichen Angriffe hinterließen Spuren, beeinträchtigten ihre kämpferische Entschlossenheit aber nicht. Ende 2014 wurde die 90-Jährige in Handfesseln von der Polizei in Ferguson (Missouri) abgeführt. Sie hatte sich an einer großen Demonstration gegen den Rassismus in den USA – im Zusammenhang mit dem Tod eines von der Polizei in Ferguson erschossenen schwarzen Jugendlichen – beteiligt. Am 26. Mai 2016 ist die Bürgerrechtlerin Hedy Epstein in St. Louis (Missouri) im Alter von 91 Jahren gestorben.
Bernd Rottenecker
Literatur
Epstein, Hedy: Erinnern ist nicht genug. Münster 1999