Regine Jolberg, Sozialpädagogin

Es wird nur wenige Nonnenweierer geben, die nichts mit dem Namen „Mutter Jolberg“ verbinden. Das Andenken an die Gründerin und langjährigen Leiterin des Evangelischen Diakonissenhaus Nonnenweier ist im Dorf und in der „Anstalt“, wie man ihr Werk heute noch gelegentlich nennt, lebendig.

Regine Juliana Jolberg  - Pionierin in der evangelischen Kinderarbeit

Regine Juliana Jolberg wurde am 30. Juni 1800 als Regine Zimmern als Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie in Heidelberg geboren. Der Vater David Zimmern (1767–1845), Bankier und Vorsteher der jüdischen Gemeinde Heidelberg, und seine Ehefrau Sara Zimmern, geb. Flörsheim (1777–1832) vermittelten ihrer Tochter eine umfassende Erziehung und Bildung. 1821 heiratete diese den Obergerichtsprokurator Leopold Neustetl (1797–1824) „unter jüdischen Ceremonien“. Aus dieser Ehe stammten die Töchter Mathilde und Emma, die Regine Juliana Neu stetl nach den
Lehren Pestalozzis erzog. Am 24. Januar 1824 starb Neustetl im Alter von 26  Jahren in Nizza, wo sich das Ehepaar wegen seiner angegriffenen Gesundheit aufhielt. Regine Neustetls Entscheidung, ihren Mann auf dem englischen Friedhof in Nizza bestatten zu lassen, zeigt, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt schon mit dem Christentum auseinandersetzte. In ihrem Tagebuch notierte sie: „Immer fehlte mir etwas. Ich war nicht jüdisch, ich war nicht christlich. Ich hatte stets das Gefühl, als müsse es etwas geben, das höher sei als die konfessionellen Unterschiede.“ Einem jüdischen Freund schrieb sie: „Es gibt kein anderes Mittel in meiner Meinung, als den Übertritt – aber nicht in die schlecht gesunkene Religion der Christen, sondern in die reine erhabene Lehre ihres Stifters.“ Gemeinsam mit ihren Töchtern und ihrer „Jugendliebe“, dem Privatgelehrten und Pädagogen Salomon Jolberg (1800–1829), ließ sie sich im Herbst 1826 evangelisch taufen. Anlässlich dieses Schrittes legte sie sich den Zweitnamen Juliana zu. Wenige Wochen später heiratete sie Salomon Jolberg. Aus dieser Verbindung gingen zwei Töchter hervor, die kurz hintereinander verstarben. Im Frühjahr 1829 wurde Regine Juliana Jolberg im Alter von 29 Jahren zum zweiten Mal Witwe. Sie widmete sich nun ganz der Erziehung ihrer Töchter. Als 1832 ihre Mutter starb, zog sie zu ihrem Vater nach Heidelberg.

Regine Juliana Jolbergs christliche Überzeugung entwickelte sich „mehr und mehr zu einem glaubensstarken, entschiedenen werktätigen Pietismus“. Um ihren Glauben zu leben, suchte sie den Kontakt zu den Wegbereitern der damals in den Anfängen stehenden diakonischen Arbeit. Auf einer Reise nach Straßburg begegnete sie dem Leutesheimer Pfarrer Ernst Fink (1806 –1863), dessen Frau Friederike eine Strickschule für die weibliche Jugend ihrer Gemeinde eingerichtet hatte. Am 28. Juli 1840 zog sie mit ihren Töchtern nach Leutesheim, um Friederike Fink zu unterstützen. Als Ernst Fink als Seelsorger an die „Landesirrenanstalt“ Illenau bei Achern wechselte, wagte sie den Schritt in die berufl iche Praxis und gründete 1843 in Leutesheim ihre erste von den Behörden genehmigte „Kinderpfl ege“. Die amtliche Bezeichnung „Kleinkinderbewahranstalt“ lehnte sie ab, Es ging ihr um die Erziehung der Kinder und nicht um deren Verwahrung: „Alles Kinder pflegen beginnt damit, das Kind in seiner Eigenart wahrzunehmen.“

1844 holte Regine Jolberg sechs junge Frauen nach Leutesheim, um sie in einem pädagogischen Kurs auf ihren späteren Einsatz als Kinderpfl egerinnen vorzubereiten. Diesem Vorläufer der heutigen evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik in Lahr (heute: Regine-Jolberg-Schule) drohte die Revolution von 1849 ein Ende zu machen. Der Leutesheimer Bürgermeister ließ im Mai 1849 alle fremden Personen aus seinem Dorf ausweisen. Bei der Langenwinkler PfIugwirtin Karoline Steinhauser, die 1847
eine „Kinderschule“ ins Leben gerufen hatte, fanden die Vertriebenen vorübergehend Aufnahme. Schließlich konnte die Ausbildung 1851 im Schlösschen der Freiherren Böcklin von Böcklinsau in Nonnenweier weitergeführt werden. Nach elfjähriger Vorgeschichte begann nun die eigentliche Geschichte des evangelischen Diakonissenhauses Nonnenweier, das eines der größten Mütterhäuser Badens werden sollte. 1869, bei seinem 25-jährigen Bestehen, waren 345 Kindergärten (Kinderpfl egen) von Nonnenweierer Schwestern besetzt. Ob Regine Juliana Jolberg Kontakt mit der jüdischen Gemeinde von Nonnenweier pfl egte, ist nicht überliefert, doch war sie tief beeindruckt vom jüdischen Glauben ihrer Eltern: „Ich erinnere mich (immer noch)
mit heiliger Ehrfurcht, wie sie am großen Versöhnungstage in Totenkleidern in die Synagoge gingen, den ganzen Tag fasteten, und wie ich meine
Mutter da besuchen durfte; – und das große Bußgebet sprach, wobei sie
immer an ihre Brust schlug und, wie wohl hebräisch, alle Sünden bekannte, schlägt mir heute noch ins Herz; – es tönte fort in dem Kinde bis zu
seinem jetzigen Alter“.

Für den evangelischen Prälaten Hermann Maas (1877–1970), der als Pfarrer an der Heidelberger Heilig-Geist-Kirche zwischen 1933 und 1945 zum Helfer und Retter vieler Juden wurde, war „Mutter Jolberg“, wie man sie erst nach ihrem Tod nannte, ein Geschenk „aus Seinem Volk“ an die Kirche.

 

Jürgen Stude

Literatur

Berger, Manfred: Jolberg, Regine. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Bd. 21, Sp. 718-727. Nordhausen 2003

Hauff, Adelheid v.: Regine Jolberg, geb. Zimmern (1800-1870): Kinderfreundin und Gründerin des Mutterhauses für Kinderpflege in Nonnenweier. In: Lebensbilder aus der Evangelischen Kirche in Baden im 19. und 20. Jahrhundert. Bd. IV. Heidelberg, Ubstadt- Weiher [u.a.] 2015, 5. 164-183

Lejeune, Lina: „... daß nicht vergessen werde: Leben und Werk der Regine Zimmern genannt Mutter Jolberg. Lahr 1965

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